Ein Thema, dass viele Führungskräfte aktuell umtreibt, ist die Frage, was heute eigentlich „gute Führung“ bedeutet und speziell wie man junge Menschen an Führungsverantwortung heranführt. Darüber habe ich mit Personalleitern aus dem deutschen Mittelstand diskutiert.
Laut einer Studie der Boston Consulting Group („Chef werden – nein danke“) wollen in Deutschland nur 7% der Mitarbeitenden Führungskraft werden, während das in China 47% wollen. Von den Teilnehmern wurde der Eindruck bestätigt, dass es aktuell immer weniger interne Bewerbungen auf offene Führungspositionen gebe. Der Anteil von Frauen sei dabei noch geringer als sonst im Unternehmen.
Weiterhin ergab die genannte Studie, dass 82% der Manager finden, dass heute ihre Arbeit schwerer ist als früher. Die Personalleiter widerstanden dem Reflex, den jungen Leuten mangelnden Mumm zu unterstellen. „Man muss als Unternehmen mit den Menschen arbeiten, wie sie sind. Wir können aber über Führung aufklären und die Randbedingungen verändern!“ Nachfolgend werden die diskutierten Lösungsansätze vorgestellt.
Grundsätzlich stellt sich die Frage bei jungen Mitarbeitern, warum sie Führungskraft werden wollen bzw. sollten. Hier haben bislang häufige Gespräche als auch Praxisbeispiele geholfen, erst einmal klar zu machen, was Führung bedeutet, weil sie schlicht keine Vorstellung davon hatten. Es ist nicht die Schuld der jungen Menschen, wenn im Unternehmen selbst die Frage, was im Unternehmen unter Führung verstanden wird, nicht beantwortet ist.
Im Kreis der Personalleiter fand die Definition Zustimmung, dass jemand, der führt, auf das Verhalten anderer Menschen einwirkt, um Ziele zu erreichen. Dazu geben sie Rahmen vor, coachen und wirken somit als Change-Facilitatoren (was in einer VUCA-Welt tendenziell anspruchsvoll ist). Führung ist also nicht gleichbedeutend mit Management. Management ist Organisation. In Unternehmen bezeichnet man die im Organigramm eingetragenen Leiter von Teams als Führungskräfte. Es gehört also zur Aufgabe von Führungskräften zu managen. Leadership braucht aber keine „formale“ Macht.
In der Diskussion war durchaus Konsens, dass Führungspersönlichkeiten nicht geboren werden, sondern sich durch Erfahrungen herausbilden. Zunächst geht es darum Potentiale zu identifizieren. Man kann auch aktiv zu Bewerbungen für angehende Führungskräfte aufrufen.
Theoretische Weiterbildungen sind höchstens Begleitmusik. Die Nachwuchsführungskräfte sollten Führung im kleinen Rahmen ausprobieren können. In kleinen Schritten. Mit viel Sparring und Mentoring. Feedback und Reflektion an konkreten Aufgaben und Ergebnissen ist wichtig. Dazu kann auch eine erste Teilprojektleitung gehören oder die Führung von Azubis oder Praktikanten.
So kann ein Gefühl von Verantwortung entstehen, man kann entdecken, welche Facetten an Führung einem persönlich Spaß machen. Die Diskussion über Vorbilder und ebenengerechte Übertragung von Verantwortung, führt die jungen Menschen behutsam an die neue Rolle heran.
In einer kürzlich erschienen Promotionsarbeit wurde ermittelt, dass vor allem Führungskräfte, die affektiv (intrinsisch) motiviert sind, von ihren Kollegen geschätzt werden. Diese Führungskräfte arbeiten aus dem Antrieb heraus, einen Beitrag zu leisten, sehen die Möglichkeit vielseitigere Kompetenzen zu erwerben, haben Interesse andere wachsen zu sehen, haben Gestaltungswillen. Kalkulierende Motivation (Status, Geld) und normative Motivation (Pflichtgefühl, „einer muss es ja machen“) erreichen bei weitem nicht diese Zustimmungswerte.
Das Ergebnis steht keineswegs im Widerspruch zu einer Studie, die erkannt haben will, dass junge Mitarbeiter durchaus Verantwortung übernehmen wollen, aber nicht um jeden Preis sondern zu Bedingungen, die mit ihren Werten übereinstimmen.
Durch Individualismus und zunehmende Toleranz hat die Sorge zugenommen, dass Führung gleich Manipulation ist. Es gibt auch weniger Bereitschaft sich nach oben zu dienen.
Durch agile Organisationsformen wird heute schon Verantwortung an Teams übertragen. So finden sich Unternehmen, wo Teams selbst bestimmen, wer temporär das Team führen soll. Viele junge Leute haben verstanden, dass Selbstverwirklichung im Innen stattfindet (nicht im Außen). Führung beginnt mit Selbstführung. Es geht dabei auch um die eigene Entwicklung.
Es kann die Übernahme von Führungsrollen entkrampfen, wenn neue Vorbilder gefunden werden. Feedback, Reflektion und Fehlertoleranz ermutigen dazu, sich auszuprobieren. Die Führungskraft muss nicht – darf vielleicht sogar nicht - der beste Experte sein.
„Warum soll ich führen, ich verdiene ja genug und bin freier.“ Wir haben oben darauf hingewiesen, dass Führungsverantwortung von Leadership zu unterscheiden ist. Die vorstehende Aussage bezieht sich auf die Übernahme von Verantwortung in einer Führungsposition.
Tatsächlich ist der Workload vieler Führungskräfte sehr hoch. Deshalb erscheint Führung heute oft nicht mit Work-Life-Balance vereinbar. Hier ist Aufklärung nötig: Denke ich Work als konkurrierend mit Life oder als Bestandteil davon? In jedem Fall ist der Anteil der Menschen gestiegen, die Arbeit nicht um jeden Preis den Vorzug geben.
Um die Vereinbarkeit von Führungspositionen mit dem privaten Leben zu erhöhen, wird viel über Teilzeitführung, Führungssharing und temporäres Führen nachgedacht. Eine Führungskarriere wird viel zu oft als Einbahnstraße gedacht. Up or out?
Vielleicht würde die Bereitschaft Führungsverantwortung zu übernehmen auch zunehmen, wenn entsprechende Exit-Szenarien – Rücktritt von Führung ohne Gesichtsverlust – von Anfang an mitgedacht würden?
Warum lamentieren? Durch die Zeit verändern sich wirtschaftliche Situationen, die Bildung und damit auch die gesellschaftlichen Normen. Wenn die Wirtschaft oft fordert, dass Change das New Normal ist, warum ist es dann so ungewöhnlich, die Rahmenbedingungen für Führung ebenso den neuen veränderten Werten anzupassen?
Gerrit. A. Nagel
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